30|15 Atelierhaus Hannover
Zu feiern ist der 30. Geburtstag des Atelierhauses Hannover – eine erstaunliche Strecke für einen Ort wie ein Atelierhaus, in dem zahlreiche Künstlerinnen und Künstler arbeiten und seit 1995 gearbeitet haben. Der institutionelle Förderzyklus der Stipendien und residencies zwingt sie ja oft – und meist über die eigene Neigung hinaus – über Jahre in eine vagabundierende Mobilität. Es damit aufzunehmen, verlangt viel Energie und eine komplexe Lebensorganisation. Auch wenn man derart einen guten Start ins Künstlerleben zu haben scheint, ist man meistens nirgendwo richtig angekommen oder gar zu Hause. Irgendwann beginnt dann die Suche nach einem sicheren Atelier und spätestens da kommt ein Atelierhaus ins Spiel.
Schon immer wichen Künstlerinnen und Künstler auf der Suche nach Ateliers in urbane und industrielle Resträume aus. In den verdichteten Großstädten sind diese nun weitgehend verschwunden, die Areale und Viertel gentrifiziert wie Soho: Die berühmte New Yorker Trend-Gegend war in den 50er und 60er Jahren fest in der Hand der Avantgarde, denn niemand wollte sonst in den alten Lofts wohnen. So bedauern wir am Ort jetzt z.B. das Verschwinden der nachbarschaftlichen Ateliers und der vielen Künstler*innen hier um die Ecke in der Weißenburgstraße sehr. Für ein paar Jahre waren hier für die Szene Hannovers wichtige, impulsgebende Initiativen eng beieinander.
Bei einem Jubiläum für ein Atelierhaus soll nicht unerwähnt bleiben, dass Künstlerinnen und Künstler zumeist doppelte, manchmal drei Mieten zahlen: die erste für ihre Wohnung, die zweite für den Ort /Platz ihrer Arbeit und die dritte für ein Lager ihrer Arbeiten, das sich naturgemäß ausdehnt. Dies bringt sie in einen Teufelskreis der Jobberei, um allein das überhaupt aufrecht zu halten. Indirekt bezahlen sie zumeist auch das Ausstellen ihrer Werke, weil es dafür bislang zumeist noch keine Honorare gibt. In die Einschätzung des Atelierhauses Hannover gehört – all dies bedenkend – der Kommentar von Kasper König, als er noch 2021 im Türrahmen einer unserer Ateliers stehend, ausrief: „Sowas, was Sie hier haben, kriegen Sie in Berlin schon lange nicht mehr“.
Als das Atelierhaus Hannover 1993 von drei Absolvent*innen der Braunschweiger Kunsthochschule gegründet wurde – also bevor 1995 in einem alten Industriegebäude im Stadtteil Hainholz die in Eigenregie geplanten, mit Architektenhilfe und viel Eigenleistung realisierten Ateliers bezogen werden konnten – hatte es sich den Status eines Vereins gegeben. Eine wirklich schwere Entscheidung für künstlerische Individualisten – aber mittelfristig unvermeidlich. Denn große helle Räume sind „nice to have“, aber sie wollen gemietet, verwaltet und gepflegt werden. Jetzt im Herzen der Stadt unterhält das Atelierhaus Hannover seit nun auch schon 15 Jahren 13 Künstlerateliers in eigener Verwaltung, und es arbeiten hier 14 aktive Künstlerinnen und Künstler. Ein anstehender Atelierwechsel wird die Anzahl der produktiven Kräfte hier nochmals um weitere Künstler*innen erhöhen. 
Ein Atelierhaus ist ein changierendes Zwitterwesen. Es ist zuallererst ein Ort der Produktion der Kunst, aber nicht zwangsläufig und nur manchmal des Zeigens von Kunst. Es ist ein anti-institutioneller Ort, der – aus Raumnot geboren – diese als Institution etwas mildern kann. Es ist ein zum „verwaltet werden“ gezwungener Ort, dessen vornehmste Aufgabe es ist, seine Nutzer möglichst frei zu halten vom „verwaltet sein“. Letztlich ist es ein Ort für vieles und alles, ein Ort kreativer Optionen und ihrer Verwirklichung.
Die in der Spichernstraße Arbeitenden vertrauen dabei bewusst auf den Wert der Individualität ihrer Kunst und agieren künstlerisch und sozial auf eigene Rechnung. Hier ist jeder Nutzer ganz Frau oder Herr ihres / seines Ateliers. Es gibt keine Verpflichtungen, nur Zuständigkeitsgruppen, wenn es gilt, ein Fest einzurichten. Mitunter kommt es zu kleineren aber feinen Ausstellungen und individuell veranlassten Projekten. Der Vorstand rotiert unter den Mitgliedern. Dass am heutigen 30er-Jubiläum im Atelierhaus Hannover Künstler*innen verschiedener Generationen arbeiten, ist allen Beteiligten wichtig und soll weiterhin so sein. Eine institutions- und tagespolitik-unabhängige Verstetigung des Atelierhauses ist ein Traum, der aus eigener Kraft aber nicht verwirklicht werden kann. 
Am Ende des laufenden Mietvertrags – im Jahr 2040 – gibt es aber immerhin die Option, diesen zu verlängern!
Rolf Bier, Auszug der Festrede anlässlich des 30-jährigen Jubiläum im August 2025